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Es werden Posts vom Juli, 2022 angezeigt.

DIE HERBERGE

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  DIE HERBERGE von GUY DE MAUPASSANT Wie alle hölzernen Gasthäuser, die in den Hochalpen am Fuße der Gletscher, in den felsigen und kahlen Korridoren, die die weißen Berggipfel durchschneiden, errichtet wurden, dient die Herberge von Schwarenbach als Zufluchtsort für Reisende, die dem Gemmi-Übergang folgen. Sechs Monate lang bleibt sie geöffnet und wird von der Familie von Jean Hauser bewohnt. Sobald sich der Schnee türmt, das Tal füllt und den Abstieg nach Loëche unpassierbar macht, ziehen die Frauen, der Vater und die drei Söhne ab und lassen den alten Bergführer Gaspard Hari mit dem jungen Bergführer Ulrich Kunsi und Sam, dem großen Berghund, zurück, um das Haus zu bewachen. Die beiden Männer und das Tier blieben bis zum Frühling in diesem Schneegefängnis und hatten nur den riesigen, weißen Hang des Balmhorns vor Augen, umgeben von blassen, glänzenden Gipfeln, eingeschlossen, blockiert, begraben unter dem Schnee, der um sie herum stieg, das kleine Haus umhüllte, umarmte und zerq...

JOSEPH

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  JOSEPH von GUY DE MAUPASSANT Sie waren grau, ganz grau, die kleine Baronin Andrée de Fraisières und die kleine Gräfin Noëmi de Gardens. Sie hatten zu zweit in dem verglasten Salon mit Blick auf das Meer zu Abend gegessen. Durch die offenen Fenster strömte die weiche Brise eines Sommerabends herein, warm und frisch zugleich, eine wohlschmeckende Brise des Ozeans. Die beiden jungen Frauen lagen auf ihren Liegestühlen und tranken nun von Minute zu Minute einen Tropfen Chartreuse, rauchten Zigaretten und erzählten sich gegenseitig intime Dinge, die nur durch diesen unerwarteten Rausch auf ihre Lippen kommen konnten. Ihre Ehemänner waren am Nachmittag nach Paris zurückgekehrt und ließen sie allein an diesem kleinen, einsamen Strand zurück, den sie gewählt hatten, um den galanten Umherirrenden der Modeorte aus dem Weg zu gehen. Sie waren fünf Tage in der Woche abwesend und fürchteten die Landpartien, die Mittagessen im Gras, die Schwimmstunden und die schnelle Vertrautheit, die in der ...

EINE FAMILIE

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  EINE FAMILIE von GUY DE MAUPASSANT Ich wollte meinen Freund Simon Radevin wiedersehen, den ich seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Früher war er mein bester Freund, der Freund meiner Gedanken, der Freund, mit dem man die langen, ruhigen und fröhlichen Abende verbringt, der Freund, dem man die intimsten Dinge des Herzens erzählt, für den man bei einem leisen Gespräch seltene, feine, geniale, delikate Ideen findet, die aus der Sympathie selbst entstehen, die den Geist anregt und ihm ein gutes Gefühl verleiht. Viele Jahre lang hatten wir uns kaum getrennt. Wir hatten zusammen gelebt, gereist, gedacht, geträumt, die gleichen Dinge mit der gleichen Liebe geliebt, die gleichen Bücher bewundert, die gleichen Werke verstanden, die gleichen Gefühle empfunden und so oft über die gleichen Menschen gelacht, dass wir uns völlig verstanden, wenn wir nur einen Blick austauschten. Dann hatte er geheiratet. Er hatte plötzlich ein kleines Mädchen aus der Provinz geheiratet, das nach Paris gek...

Die goldene Dose.

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  von Hedwig Courths-Mahler  Die goldene Dose. Antonius Vitus war von seiner Romreise nach Alexandrien zurückgekehrt. Ein Jahr fast war er auf Reisen gewesen. Nun freute er sich aber doch, sein altgewohntes Leben wieder aufzunehmen. Sein Freund Claudius hatte ihm zu Ehren ein Fest veranstaltet. Die Gäste befanden sich in der herrlichen Halle des Hauses. Das Mahl war köstlich gewesen. Die Dienerinnen, thessalonische Sklavinnen, waren die schönsten von ganz Alexandrien, der Wein war feurig und von herrlichem Aroma, und die Unterhaltung war lebhaft und geistreich. Es fehlte also nichts am Wohlbehagen der Gäste. »Was gibt es Neues in Alexandrien, Freunde? fragte Antonius Vitus lächelnd. »Nichts Interessantes für dich, du Weltgereister. Denn Rom sehen, heißt die Welt sehen,« sagte Armidus, der Spötter. »Doch, doch, Freund – du vergißt Julia!« rief ein bildschöner Jüngling schwärmerisch. »Wer ist diese Julia? Was ist mit ihr?« »O, du wirst sie kennen lernen, wenn dir...

IM WALD

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  IM WALD von GUY DE MAUPASSANT Der Bürgermeister wollte sich gerade zum Mittagessen setzen, als ihm mitgeteilt wurde, dass der Feldhüter mit zwei Gefangenen im Rathaus auf ihn wartete. Er begab sich sofort dorthin und sah tatsächlich seinen Feldhüter, Vater Hochedur, der mit strenger Miene ein Paar reife Bürger beaufsichtigte. Der Mann, ein dicker Vater mit roter Nase und weißem Haar, schien überwältigt zu sein, während die Frau, eine kleine Mutter, sehr rund, sehr fett, mit glänzenden Wangen, herausfordernd auf den Beamten blickte, der sie in seinen Bann gezogen hatte. Der Bürgermeister fragte:  - Was ist das, Vater Hochedur? Der Feldhüter machte seine Aussage. Er war am Morgen zur üblichen Zeit ausgegangen, um seine Runde durch den Champioux-Wald bis zur Grenze von Argenteuil zu machen. Er hatte nichts Ungewöhnliches auf dem Land bemerkt, außer dass das Wetter schön war und der Weizen gut gedieh, als der Sohn der Bredels, der seinen Weinberg bearbeitete, rief: "Vater Hoched...

DIE KÖNIGE

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  DIE KÖNIGE von GUY DE MAUPASSANT  - Ah!" sagte der Kapitän Graf von Garens, "ich glaube, ich erinnere mich an das Abendessen der Könige während des Krieges! Ich war damals Marschall der Husaren und seit zwei Wochen als Späher vor einer deutschen Vorhut unterwegs. Am Vortag hatten wir einige Ulanen gesäbelt und drei Männer verloren, darunter den armen kleinen Raudeville. Sie erinnern sich gut, Joseph de Raudeville. An diesem Tag befahl mir mein Hauptmann, zehn Reiter zu nehmen und das Dorf Porterin zu besetzen und die ganze Nacht zu bewachen, wo wir in drei Wochen fünfmal gekämpft hatten. Es standen keine 20 Häuser mehr und es gab keine 12 Einwohner mehr in diesem Schlamassel. Ich nahm zehn Reiter und brach gegen vier Uhr auf. Um fünf Uhr, mitten in der Nacht, erreichten wir die ersten Mauern von Porterin. Ich hielt an und befahl Marchas, Sie wissen schon, Pierre de Marchas, der inzwischen die kleine Martel-Auvelin, die Tochter des Marquis de Martel-Auvelin, geheiratet hat, ...