Dunmoore - Kapitel 4: Der Abstieg

  

Kapitel 4: Der Abstieg

Der Himmel über Dunmoor war grau wie Asche. Die Sonne hatte sich seit Tagen nicht mehr gezeigt. Der Nebel lag wie ein Leichentuch über dem See, über den Wäldern, über den Gedanken derer, die geblieben waren.

Jonas Falk war einer von ihnen. Doch das, was ihn jetzt antrieb, war kein Pflichtgefühl mehr. Es war Vorahnung. Und eine dunkle Ahnung von Schuld.



Die Wahrheit über den Kreis

Jonas stand am Rand des Steinkreises, das Tagebuch von Pater McCrae in der Hand. Er hatte es in der Nacht erneut gelesen – diesmal sorgfältiger, mit dem Auge eines Mannes, der das Ende bereits kommen sah.

Ein Eintrag war ihm entgangen. Oder er hatte ihn beim ersten Mal nicht verstanden:

„Der Kreis schließt sich nur, wenn das Tor vollständig geöffnet wurde. Drei Seelen markieren den Weg. Die vierte ist der Schlüssel. Der Wächter nimmt nur, was ihm freiwillig gebracht wird.“

Freiwillig.

Jonas schlug das Buch zu. Jetzt verstand er. Die Opfer waren keine Zufallsziele. Sie waren Teil eines uralten Rituals – einer Art Schwelle zwischen Welten. Und der vierte, der Letzte, war kein Opfer.

Er war das Tor selbst.



Der Rückzug der Dorfbewohner

Die Straßen von Dunmoor waren leer. Fenster verdunkelt. Türen verschlossen. Selbst im Pub war es still. Isla sagte nur einen Satz, als Jonas hereinkam:

„Sie wissen, was du bist.“

„Wer sind ‚sie‘?“ fragte er.

„Die Alten. Die, die unter dem See ruhen. Sie wissen, dass du der Schlüssel bist. Und der Nebel will dich haben.“

Er wollte widersprechen, aber konnte nicht. In seinem Innersten wusste er, dass sie recht hatte.



Albtraum und Erwachen

In dieser Nacht träumte Jonas – zum ersten Mal seit Wochen. Aber der Traum war kein Trost. Es war eine Abrechnung.

Er sah sich selbst als Kind, im Garten seines Elternhauses, wie er auf einen Baum kletterte. Dann, plötzlich, der Sturz. Blut an den Händen. Doch nicht sein eigenes. Neben ihm: eine Frau, tot. Ihre Augen offen. Ihre Stirn mit einem Zeichen versehen.

Er wachte schreiend auf, den Geschmack von Erde im Mund, Schweiß auf der Haut.

Auf seinem Schreibtisch: ein weiterer Zettel. Er hatte ihn nicht dort hingelegt. Und doch war er da.

„Die Toten kommen in Nebel. Die Schuldigen gehen in Stille.“


Konfrontation

Am folgenden Morgen stand Aileen Kerr vor seiner Tür. Blass, angespannt, den Revolver sichtbar an der Hüfte.

„Jonas“, sagte sie leise. „Du musst hier weg.“

„Ich kann nicht“, entgegnete er.

„Du verstehst nicht. Die Leute glauben, dass du das bist, was das Ding sucht. Sie denken… du hast es mitgebracht.“

„Vielleicht haben sie recht“, sagte Jonas ruhig.

Sie starrte ihn an.

„Willst du damit sagen, du bist der Grund? Dass du etwas geöffnet hast?“

„Nicht absichtlich. Aber ich bin näher dran als jeder andere. Und ich weiß, was getan werden muss.“

„Das ist Wahnsinn.“

„Nein“, flüsterte er. „Das ist Schicksal.“



Der Abstieg beginnt

Kurz vor Mitternacht ging Jonas ein letztes Mal zum See.

Er trug kein Gepäck, keine Notizen, keine Taschenlampe. Nur sich selbst und den Brief, den er für Aileen hinterlassen hatte.

„Wenn ich nicht zurückkehre, schließt den Kreis. Zerstört den mittleren Stein. Und vergesst mich.“

Der Nebel war dicker denn je. Jonas konnte kaum die eigenen Füße sehen. Doch er spürte die Richtung. Als würde etwas in ihm gezogen werden – nicht mit Gewalt, sondern mit Sehnsucht.

Der Pfad führte nicht zum Steinkreis.

Sondern in den See.

Er ging. Schritt für Schritt. Das Wasser reichte ihm bis zu den Knien. Dann zur Hüfte. Dann zur Brust. Und noch immer war der Nebel da – kalt, rauschend, flüsternd.

Dann hörte er sie.

Die Stimmen. Wieder.

Aber diesmal war da eine andere dabei. Tief, fremd, alt.

„Du bist der Vierte.“

Er schloss die Augen.

„Ich bin bereit.“



Die Berührung

Das Wasser wurde schwarz.

Die Geräusche verstummten.

Jonas sank.

Nicht wie ein Mensch, der ertrinkt, sondern wie etwas, das in eine andere Sphäre übergeht. Kein Schmerz. Kein Widerstand. Nur ein Gefühl der Auflösung.

Und dann – nichts.



Die Hoffnung stirbt

Als am nächsten Morgen Aileen an den See kam, fand sie nichts. Kein Körper. Keine Fußspuren. Keine Kleidung. Nur einen Kreis aus getrocknetem Schlamm, genau dort, wo Jonas gegangen war.

Und am mittleren Stein im Steinkreis prangte ein neues Symbol.

Nicht eingebrannt.

Eingeritzt. Frisch. Und blutrot.


Fortsetzung folgt nächste Woche

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