Dunmoore - Kapitel 3: Kein Zurück
Kapitel 3: Kein Zurück
Der Nebel hatte sich nicht verzogen. Im Gegenteil: Er war dichter geworden, schwerer, als läge er wie ein feuchter Vorhang über dem ganzen Tal. Die Bewohner von Dunmoor blieben in ihren Häusern. Fensterläden wurden geschlossen. Türen verriegelt. Niemand sprach es aus – aber alle wussten, was in der Luft lag: etwas war zurückgekehrt.
Und Jonas Falk wusste nun, dass es nicht einfach nur ein seltsamer Mord war, den er untersuchte. Es war ein Ruf. Und er war ihm gefolgt.
Die zweite Tote
Drei Tage nach dem Fund von Emily Doran wurde eine weitere Leiche entdeckt.
Diesmal war es Maggie Forbes, 43, alleinlebend, Lehrerin im Ruhestand. Ihre Nachbarin hatte sie seit Tagen nicht gesehen, und der Postbote fand die Tür nur angelehnt. Keine Anzeichen von Einbruch. Keine Verwüstung.
Sie lag in ihrem Bett. Die Hände gefaltet. Die Augen offen, aber blicklos. Und wieder: das Symbol auf der Stirn.
Jonas betrat das Schlafzimmer mit einer Mischung aus Entsetzen und Wut. Wut auf sich selbst, weil er dachte, er hätte es verhindern können. Und Wut auf das Ding, das das tat – was immer es war.
Aileen stand stumm neben ihm. Dann sagte sie: „Ich habe ihre Akte überprüft. Maggie war die Ur-Enkelin von Abigail Forbes.“
Jonas runzelte die Stirn. „Und das bedeutet…?“
„Abigail war 1954 das erste Opfer. Sie wurde am Steinkreis gefunden. Mit dem Zeichen.“
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.
Der Brief der Toten
Zurück im Cottage fand Jonas einen Brief in seinem Briefkasten. Kein Absender. In altmodischer Handschrift. Nur zwei Zeilen:
„Es ist nicht tot, was ewig ruht, und mit fremder Zeit erwacht das Blut.“
Er erkannte das Zitat. H.P. Lovecraft. Doch der Brief war kein literarischer Gag.
Auf der Rückseite war das Symbol gezeichnet – präzise, korrekt, mit roter Tinte.
Und dann, wie auf ein Kommando, spürte Jonas es wieder: dieses Vibrieren in der Luft, als würde der Nebel seinen eigenen Puls haben.
Die Stimmen im Nebel
In der Nacht schlief Jonas nicht. Er ging den Pfad zum See hinunter, eine Taschenlampe in der Hand. Der Nebel verschluckte das Licht schon nach wenigen Metern. Trotzdem ging er weiter, Schritt für Schritt, bis er am Ufer stand.
Und dann hörte er es: Stimmen.
Flüsternd. Drängend. Nicht laut, aber klar. Er konnte keine Worte verstehen, nur Klang – wie von vielen Stimmen übereinander, fremd und nah zugleich.
„Wer ist da?“ Seine Stimme war trocken.
Keine Antwort. Nur das Flüstern.
Dann ein Lachen. Hoch, kalt, kindlich.
Etwas streifte ihn. Unsichtbar. Kalt wie Eis.
Er wirbelte herum, konnte aber nichts sehen. Nur Wasser. Und Nebel. Und Schatten, die keine Richtung kannten.
Er rannte zurück. Stolpernd, atemlos, bis zur Tür seines Hauses.
Der Bruch
Am nächsten Morgen war etwas anders. Jonas stand nicht sofort auf. Er lag lange auf dem Sofa, blickte an die Decke, ohne sich zu rühren. Sein Gesicht war hart. Die Augen leer.
Er wusste: Er kann nicht weitermachen wie bisher.
Nicht als Zuschauer. Nicht als ehemaliger Ermittler, der Abstand sucht. Er war jetzt mittendrin – und das, was hier geschah, würde ihn nicht in Ruhe lassen. Nicht mehr. Vielleicht nie wieder.
Er nahm seine Jacke, verließ das Haus und ging zurück zum Steinkreis.
Diesmal betrat er die Mitte nicht. Er stand davor, in respektvoller Entfernung, und sprach leise:
„Was bist du? Was willst du von uns?“
Keine Antwort. Nur ein Windstoß. Und eine Krähe, die plötzlich aufflog.
Dann, auf dem mittleren Stein: ein weiterer Brief.
Feucht, aber lesbar.
„Der Kreis wurde geöffnet. Drei müssen fallen. Der vierte kommt freiwillig.“
Jonas starrte auf die Zeilen. Sein Atem beschleunigte sich.
Drei? Emily. Maggie. Wer war die dritte?
Er rannte zurück ins Dorf.
Ein bekanntes Gesicht
Im Pub war es still. Nur Isla hinter dem Tresen. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
„Morag ist tot“, sagte sie.
Jonas blieb stehen wie versteinert.
Morag. Die alte Kräuterfrau. Die Einzige, die von Anfang an gewarnt hatte. Die den „Wächter“ beim Namen genannt hatte.
Er stürmte hinaus. Das dritte Opfer. Der Kreis war vollständig.
Und er wusste: Er war der Vierte.
Nicht durch Blut, sondern durch Entscheidung. Durch Nähe. Durch
Schuld.
Er war derjenige, der nun gerufen wurde.
Er konnte nicht mehr einfach „nicht ermitteln“. Nicht mehr
weglaufen.
Dunmoor hatte ihn. Und das, was unter dem See
lauerte, auch.
Die Entscheidung
In der folgenden Nacht packte Jonas eine Tasche: Taschenlampe, Kreide, das Tagebuch von Pater McCrae, ein altes Foto der Steine, sein Notizbuch, ein Messer.
Er ging zum See. Nicht als Ermittler. Nicht als Opfer.
Sondern als Zeuge.
Denn tief in sich wusste er:
Was auch immer erwacht war – es hatte ihn gewählt.
Und es würde ihn nicht gehen lassen, solange das Tor offen stand.
Fortsetzung folgt nächste Woche.

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