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Es werden Posts vom Oktober, 2022 angezeigt.

Die Tauben von San Marco

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  Elisabeth Dauthendey Die Tauben von San Marco Venedig. Wer vergisst sie je, der sie einmal schaute. Diese einzig Geartete unter allen Städten der Erde. Der Klang ihres Namens ist wie ein bebender Glockenton aus weiten, dunklen Fernen. Dieser Klang geht mit uns durch die seltsam engen Gassen. Schaukelt auf den müden Wellen der blauschwarzen Wasserwege. Steht wie ein versteinertes Echo über den finsteren, drohenden Herrlichkeiten der einsamen Paläste Venedig – Die dich zum erstenmal schauen, gleiten wie Schlafwandelnde durch den Traum deiner farbenglühenden Stille. Ihre Seelen sind wie weit offene Schalen, bis zum Rande gefüllt von dem Rausche deiner flüsternden Geheimnisse, die zwischen deinen nachtschwarzen Wassern und der seidenweichen Bläue deiner Höhe hängen. So gleitet Elena durch die Tage und Nächte Venedigs. Kühl wie der junge Morgen, vom herben Dufte der ersten Reise umwebt, steht sie verwirrt wie ein scheuer Vogel an der Schwelle dieser berauschenden Offenbarun...

Der nie geküsste Mund

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  Elisabeth Dauthendey Der nie geküsste Mund Die Fenster der kleinen Villa standen ringsum weit offen, als wollten sie die wollüstige Südwärme gierig einsaugen, um gegen die Kälte der Nacht Schutz und Widerstand aufzuspeichern. – Auf der Loggia, in kostbare Decken gehüllt, lag ein junges Weib. An den Glaswänden hingen die Zweige der gelben chinesischen Kletterrose wie schwere Vorhänge, die das grelle Südlicht zu sanfter Dämmerung abblendeten. Ena schlief. Leise erhob sich die Krankenschwester, sah mit einem sorgenden Blick zur Ruhenden hin und huschte weich und lautlos zur Türe hinaus. Draußen rauschte das Meer. Die dumpfe Kadenz der an das Ufer stoßenden Wellen schwoll und verhauchte in schwermütiger Eintönigkeit und mischte sich mit den schwebenden Düften der Eukalypten und Orangen zu einer seltsamen Melodie voll honigschwerer Süße. Mit diesem Umkreis tiefgesättigter Schönheit verwob sich die Gestalt des schlafenden Weibes zu einem Zustand atemloser Erwartung. Als harre a...

Zwischen zwei Fenstern

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  Elisabeth Dauthendey Zwischen zwei Fenstern Glührot leuchtete das Fenster. Leuchtete so stark und aufdringlich, dass die Blicke der vorübergehenden wie ein Magnet davon angezogen wurden. Und da dem Fenster gegenüber ein sehr besuchter Wirtshausgarten lag, gab es der Augen genug, die immer wieder zu dem rotleuchtenden Fenster sich verloren, dessen glutroter Rahmen brennender Geranien den feinen Kopf eines Mädchens umlohte, das hier auf erhöhtem Sitz Tag um Tag das zarte Profil, umwuchert von einer lose flatternden Fülle tiefschwarzen Haares, den Vorübergehenden zukehrte. Während ihre weißen und gut gepflegten Hände rastlos an der Arbeit waren, flog ab und zu immer wieder ein Blick ihrer dunklen Augen, die einen seltsam feuchtschimmernden Glanz ausstrahlten, zu dem Fensterspiegel hin, und wenn sie dann, wie es oft geschah, die Blicke der Vorübergehenden mit dem Ausdruck verblüffter Überraschung und Bewunderung auf sich gerichtet sah, huschte ihr eine feine Röte über die Wangen...

Himmel und Erde

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  Elisabeth Dauthendey Himmel und Erde In der süßen blühenden Maienzeit ihres Lebens, da alle sprossenden Knospen der Seele zur Sonne lechzen, alle brennenden Träume um ein seltsam Fernes und Seliges kreisen und alle weitwache Sehnsucht nach dem lockenden Ungreifbaren sich aufreckt, war sie Nonne geworden. Sie hatte die Insel der Seligen erreicht, nach der die Träume ihrer Nächte gegriffen hatten. Aus den Wirrnissen des Alltags kommend, zu denen sie nie eine rechte Stellung hatte finden können, war es nun wie eine Erlösung, der großen Stille, dem heiligen Schweigen gegenüberzustehen. In der geheimnisbeladenen Einsamkeit nur den einen Weg vor sich zu wissen, der zu den goldnen Altären des Gebetes und zu den schmerzlich seligen Höhen der Opferung führte. Sich opfern und hergeben. Wund sein an sich selbst, das Herz schwer von Demut und Liebe zu Einem, der über allem Irdischen jene weiten Tore öffnete, die in eine Welt der seltsamen Schauer, Erschütterungen und Verzückungen führte...